Zunächst möchten wir uns ganz herzlich bei Andreas Pawlowski für den wunderbaren EC Nachbericht 2012 bedanken. Dieser Bericht sollte ursprünglich im neuesten Schalldruck der Schallwende e.V. abgedruckt werden, fand jedoch aus platztechnischen Gründen dafür keine Verwendung mehr.

Um den Bericht von Andreas nicht vollends "in der Versenkung" verschwinden zu lassen, kann man seinen Bericht nun mit etwas Verspätung hier erstmals nachlesen. Viel Freude damit und nochmals ganz lieben Dank Andreas !!!

Hier der Originalbericht:

Electronic Circus 2012, Die Weberei in Gütersloh, Samstag, 22. September 2012

 

Gleich zu Beginn meines Berichtes möchte ich ein ganz großes Lob anbringen: Die Organisation des diesjährigen Electronic Circus war im zeitlichen Ablauf eine einmalige Sache! Die Konzerte begannen fast auf die Minute genau wie geplant. Derartiges ist selten zu erleben. Dafür schon einmal meinen tief empfundenen Respekt!

Das ganze Festival kann nur als Erfolg gewertet werden. Es waren tolle Künstler für die Konzerte eingeladen, und eine ganze Reihe hochkarätiger Gäste hatte sich angemeldet. Tolles Wetter hatten wir auch noch; einem wunderbaren Jubiläums-Zirkus (es war die 5. Ausgabe) stand also nichts mehr im Wege.

Ich war leider etwas spät dran (wer konnte auch mit einer solchen „gnadenlosen“ Pünktlichkeit rechnen?), und das erste Konzert hatte wenige Minuten zuvor begonnen. So habe ich leider die ersten Minuten von Sankt Otten verpasst. Ja – leider! Denn was die beiden Musiker von der Bühne aus auf das Publikum losließen, das war toll. Der erste Eindruck war schon ungewöhnlich, denn Stephan Otten saß in der Mitte der Bühne hinter einem nicht allzu ausladenden Schlagzeug und trommelte, was das Zeug hielt. Oliver Klemm war der zweite Musiker, der Synthesizer bediente, und gleichzeitig als Gitarrist fungierte. Später war auch Stephan Otten an den Tasten zu erleben. Die Musik schallte mir etwas phonstärker als sonst bei EM-Konzerten üblich entgegen. Das war aber sehr gut zu ertragen, vor allem war es passend für diese Powermusik.

Mit einer durchdringenden Bassdrum ging St. Otten meist „in die Vollen“. Auf jeden Fall hatte das Eröffnungskonzert des diesjährigen Electronic Circus keine Entspannungsmusik zu bieten. Stephan Otten spielte die Drums auch schon mal stehend. Und die E-Gitarre war vielfach nicht als solche zu erkennen, weil sie entsprechend als Synthesizer eingesetzt wurde.

Sankt Otten haben auf ihren bisherigen Alben auch einige Lieder aus dem Popbereich auf höchst interessante, schöne und eigenwillige Art gecovert. So empfinde ich diese Band als eine Formation, die Grenzen auslotet, unterschiedliche Musikrichtungen miteinander verbindet und vermutlich einen völlig anderen Hintergrund hat als die uns sonst so vertrauten EM-Musiker.

Auffallend bei diesem Konzert waren auch die Projektionen, denn sie wirkten sehr professionell. Bei einem Stück war zum Beispiel eine Mischung aus Computeranimationen, Realfilmaufnahmen und Schwarz-Weiß-Fotos zu sehen. Das Ganze war ansprechend und unterstützte die Musik prima.

Ein Gastmusiker tauchte auch auf, und der kam mir doch sehr bekannt vor. Richtig – bei der Schwingungen Grillparty in Hamm traten „Vraigaist“ auf, und einer der Musiker, Andreas Parnow, setzte nun mit seinem Saxophon starke Akzente im Sankt-Otten-Konzert.

Der wahrscheinlich schönste Moment dieses tollen Konzerts kam mit der Ansage der Zugabe. Die Ansage übernahm niemand anders als Winfrid Trenkler höchstpersönlich. Das hatte auch seinen guten Grund, denn die Zugabe hieß „So weit – so gut“. So fühlte ich mich prompt um etliche Jahre zurückversetzt, mit dem Ohr am Radio, und lauschte dem Beginn der Sendung Schwingungen, die bekanntermaßen lange von eben diesem Titel eröffnet wurde.

Die Gegenwart war jedoch auch nicht zu verachten – Sankt Otten hatten natürlich ihre eigene Version dieses Harald-Großkopf-Klassikers. Harald war ebenfalls persönlich anwesend, und die Sankt-Otten-Version war von ihm autorisiert, wie dem Publikum versichert wurde. (Harald bestätigte das anschließend durch seinen Handschlag mit den Musikern.)  „So weit – so gut“ in der Situation zu hören, das trieb mir die Tränen in die Augen, ich gebe es zu. Das war nämlich eine grandios gute Interpretation! Leider versagte die Technik mitten im Stück. Aber Stephan und Oliver fingen noch einmal an, was mich überhaupt nicht störte. „So weit – so gut“ ist wirklich zum Klassiker geworden. Und wenn es dann noch so gut gecovert wird – umso besser!

Nach kurzer Pause ging es pünktlich mit VoLt weiter. Michael Shipway und Steve Smith sind seit vielen Jahren gestandene Größen in der EM-Welt, sei es unter ihrem eigenen Namen, in anderen Projekten mit anderen Musikern, oder eben als VoLt. Angekündigt wurde ihr Konzert beim Electronic Circus als „Berliner Schule für das 21. Jahrhundert“. Das war sicherlich zutreffend. Das neue Album „Circuits“ war gerade erschienen. Sowohl Titel aus dem Album als auch andere Stücke wurden nun live auf der Bühne präsentiert.

„Circuits“ war gleich das erste Stück. Das bahnte sich seinen Weg durch die seltsamsten Sounds, bis sich langsam eine Struktur entwickelte und eine grandiose Melodie begann. Klassische EM von höchster Qualität wurde uns hier geboten. Ein Sequencer und eine neue Melodie lösen die Soundcollagen ab. Optisch begleitet wurde das Stück von Computergrafiken auf der Leinwand hinter den Musikern.

Die Projektion beim nächsten Titel, „Fermion“, zeigte die Erde, die Sonne und andere Aufnahmen des Weltalls sowie Animationen. Entsprechend spacig war die Musik. Mit dem langen Intro hatte „Fermion“ einen ähnlichen Aufbau wie „Circuits“. Da stellt sich die Frage, was denn eigentlich den Reiz bei den Stücken von VoLt ausmacht? Ich glaube, es ist die Fähigkeit der Künstler, gute Melodien zu komponieren, tolle Atmosphären zu schaffen, den Hörer „schweben“ oder auch in der Musik versinken zu lassen, die Welt um einen herum zu vergessen und sich ganz der Musik, den Klängen zu überlassen.

Nach „Fermion“ ertönten sehr bekannte Klänge: „Arrival“, das ursprünglich aus Michael Shipways Soloalbum „Beneath Folly“ stammt. Ich hätte nicht gedacht, dass ich dieses wunderbare Stück einmal live hören würde. Herrlich! Darf ich das auch schon zu den „Klassikern“ der EM rechnen? Jedenfalls wurden Erinnerungen wach, und mir fiel auf, wie lange die Elektronische Musik mich schon begleitet. Der Stil von „Arrival“ lässt ein bisschen an John Dyson denken – solche EM kam ganz eindeutig aus England! Die Bebilderung dieses Tracks war passend zum Plattencover von „Beneath Folly“ gestaltet.

Dann folgte ein offenbar neues Stück, „Lepton“ überschrieben. Die Musik war anders geartet: etwas ruhiger, zu Beginn keine dominierende Sequenz, aber ein durchgängiger Grundbass. Dann setzte doch der Sequencer ein; „modernere“ Sounds und dazu die Wärme von analog klingenden Synths in der Melodie machten „Lepton“ zu einem sehr schönen Track.

Eine Zugabe durfte nicht fehlen, und so kamen wir in den Genuss von „Extinction“. Ein Wahnsinnsbass dröhnte durch den Saal. Die schöne Melodie von „Extinction“ wirkte im Kontrast dazu recht sanft. Rasend schnelle Sequenzen jagten nach einer Weile durch die Lautsprecher und wurden – im Gegensatz zum vorherigen Flug über den Wolken – von zum Teil hektischen Bildern begleitet. Dann wurde das Stück trotz der beibehaltenen Schnelligkeit wieder in ruhigere Bahnen gelenkt.

Das VoLt-Konzert (übrigens das erste in Deutschland) war ein Highlight des EC 2012 und streichelte die Seele der Freunde sequencerbasierter EM.

Das Organisationsteam des Electronic Circus bescherte dem Publikum mit dem nächsten Konzert eine weitere Premiere. Eric Wøllo und Ian Boddy hatten gerade ein gemeinsames Album herausgebracht, und nun beim EC standen sie zum ersten Mal gemeinsam auf der Bühne. Der größte Teil des Konzerts bestand somit auch aus den Tracks des Albums „Frontiers“.

Der Beginn war atmosphärisch-ruhig mit Boddy-typischen Sounds, zu denen sich bald Eric Wøllos Gitarre gesellte. Das Stück hatte eine bewegte Melodie und ich freute mich sehr, bei Ians Equipment einen Minimoog zu entdecken.

Die Techniker gaben der Musik eine insgesamt wohltuende Lautstärke, so dass auch sehr differenzierte Klangschaften zu hören waren. Winfried Wiesrecker stand wie üblich mit der Kamera auf der Bühne und seine Aufnahmen wurden direkt auf die Leinwand hinter den Musikern übertragen.

Zu Anfang des zweiten Tracks war Regen zu hören; Eric holte faszinierende Töne aus seiner Gitarre. Das blaue Licht, in das die Bühne vornehmlich getaucht war, passte bestens zur Musik. Und diese war absolut ergreifend und ging unter die Haut.

Das nächste Stück begann mit Klängen wie von E-Piano und Streichinstrumenten. Erics Gitarre kam dann als rockigeres Instrument zum Einsatz, wobei die Grundstimmung durchaus entspannt blieb.

Vom vierten Track an hörten wir Stücke vom Album „Frontiers“. Eine etwas gespenstische Atmosphäre wurde aufgebaut und eine Weile durchgehalten. Sounds vom Moog und der E-Gitarre überlagerten schließlich diese Stimmung. Das Stück wirkte fast wie ein Vorspiel zum nächsten Titel, der von Sequencern getragen und von Percussionsounds basiert wurde. Dazwischen kam ein Interludium mit atmosphärischen Gitarrenklängen ohne viel „Drumherum“.

Wie im vorletzten Stück hatte der folgende Track einen Grundton, auf dem die Atmosphäre aufgebaut wurde. Und darum ging es, denn auf eine ausgeprägte Melodie verzichteten Ian und Eric. Auf die melodische Reise nahm Eric die Zuhörer mit seiner Gitarre im nächsten Stück wieder mit.

Der abwechselnden Reihenfolge gehorchend war das darauffolgende Stück wieder eher atmosphärischer Natur. Eine Besonderheit war, dass Eric auf seiner E-Gitarre so auffallend die Basstöne spielte. Dieser „E-Bass“ wurde im nächsten Titel fortgeführt, bald aber übernahm der Moog die Melodieführung.

Das vorletzte Stück hatte ein mysteriös wirkendes Intro, dann folgte eine kräftige, percussionartige Sequenz. Die E-Gitarre und der Moog fungierten als Melodieinstrumente. Im Verlauf des Stücks wurde die Gitarre noch richtig rockig.

Für die Zugabe wechselte Ian Boddy eine Reihe von Steckern in seinen Instrumenten, und es gab wieder jede Menge bemerkenswerte und seltsame Klänge zu hören. Kräftige Bässe und Moogsounds trugen das Stück und das Publikum ans Ende dieses wunderbaren Konzerts.

Nachdem Gandalf im vergangenen Jahr einen umjubelten und Erwartungen schürenden Kurzauftritt beim Electronic Circus hatte, war er nun als „Headliner“ eingeladen. Er trat diesmal nicht alleine auf, sondern teilte sich die Bühne mit seinem Sohn Christian Strobl (Percussion) und Merike Hilmar (Cello). Gandalf selber spielte Keyboards und Gitarren.

Das erste Stück wurde mit Piano und Cello gespielt, die ganz leicht elektronisch untermalt wurden. Das erinnerte mich sehr an Gandalfs Auftritt im letzten Jahr. Es war eines der Stücke aus dem ersten Konzertteil, die für den Electronic Circus komponiert bzw. besonders arrangiert wurden, wie Gandalf das Publikum informierte. So z. B. der zweite Track, „Into The Rising Sun“. Das war schon wesentlich elektronischer als der erste Titel. Gandalf spielte Gitarre, und sobald diese die Melodie übernahm, trat die Elektronik in den Hintergrund. Auch Trommel und Cello trugen ihren Teil bei.

„Von der Schönheit des Seins“ hieß das nächste Musikstück. Im Original wird es offenbar von einem Orchester begleitet, doch auch mit den wenigen Personen auf der Bühne und mit den reduzierten Instrumenten wurde ein recht orchestraler Klang erreicht.

Merike Hilmar spielte das folgende „Between Ebb And Flow“ solo auf ihrem Cello, bis das Stück mit Hilfe der anderen plötzlich einen „Celtic“-Charakter bekam.

Ein wenig düsterer wirkte anschließend „Written In The Stars“. Auch dieser Titel war wie die meisten anderen Stücke mit Klavier, Cello und Percussion instrumentiert.

Beim nächsten Track wurde wieder mehr Elektronik eingesetzt. Das Cello wurde von Synthesizern begleitet, und später setzten auch die Gitarre und Percussion ein. Die Musik wurde etwas flotter, weniger getragen. Interessant hierbei fand ich, dass das Cello im Grunde genommen die Rolle eines Sequencers übernahm, indem einzelne Töne ständig wiederholt wurden, bis auch das Cello wieder die Melodie spielte.

Ein paar Stücke weiter nahm Gandalf einen E-Sitar zur Hand, und den nachfolgenden Track (vom Album „Erdenklang und Sternentanz“) hat Christian Strobl als DJ Creexx arrangiert. Dieses Arrangement ging sehr in Richtung Trancemusik. Auf mich wirkten die Trance-Elemente etwas aufgesetzt, wollten für meine Ohren nicht so recht mit Gandalfs Stil zusammengehen. Erst, als das Cello anders gespielt wurde, Gandalf in die Saiten der E-Gitarre griff und das Cello wieder „loslegte“, wurde es stimmig.

Danach wurde es mit einem von Klavier und Cello gespielten Stück wieder ruhiger, und die Zugabe bestand aus dem ältesten Gandalf-Titel: „Departure“ vom Album „Journey To An Imaginary Land“.

Mit dem Konzert von Gandalf endete für uns leider auch schon der 5. Electronic Circus, denn wir waren bei Freunden zu Gast, die aber selber nicht beim EC anwesend waren. Angesichts der Uhrzeit verließen wir die Weberei, ohne das „Dominique Perrier Project“ gesehen und gehört zu haben. Mir ist durchaus bewusst, dass ich da etwas verpasst habe. Aber auch so fand ich den Jubiläums-Zirkus ganz hervorragend. Sicherlich war es der bis dato der beste Electronic Circus! Hinzu kam der Umstand, dass sich so viele besondere Gäste angekündigt hatten. Beispielsweise war Winfrid Trenkler (ich berichtete ja schon über seine Ansage bei Sankt Otten) mit seiner Partnerin eigens für den EC aus Schweden angereist, was mich schwer beeindruckte, und in meinen Augen dem Zirkus den „Ritterschlag“ gab.

Zum Gelingen der Veranstaltung trug zu einem wesentlichen Teil die hervorragende Organisation bei. Frank Gerber kokettierte einige Male mit den Verspätungen der vergangenen Jahre. Diesmal gab es da wirklich nichts zu meckern. Und weil es sich um einen Zirkus handelt, traten die Organisatoren wie in den Vorjahren auch in unterschiedlichen Kostümen auf und gestalteten die Moderationen sehr unterhaltsam. Mike Niemann verwöhnte zwischendurch die Besucher, Gäste und Musiker zudem mit Süßigkeiten.

Man kam bestens mit Musikern und anderen Gästen ins Gespräch, CDs waren in rauen Mengen zu erwerben, verpflegen konnte man sich ebenfalls wie man wollte.

Die Möglichkeiten der Weberei, was die Beleuchtung der Bühne angeht, wurden diesmal auch viel besser genutzt, was mich sehr freute.

Jungs, was wollt Ihr im nächsten Jahr eigentlich noch besser machen???

 

Andreas Pawlowski

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